Die politische Botschaft von Covid-19

Das Covid-19 Virus und seine medizinischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen wird uns noch lange begleiten. Wichtig ist, daß wir seine politische Botschaft verstehen und die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Und zu diesen auch stehen, wenn die Medienkarawane längst weitergezogen ist …

Erschreckend schnell hat sich in einer globalisierten Welt ein neues Virus verbreitet: Covid-19, eine Variante des SARS- Virus, das 2003 bereits eine weltweite Pandemie ausgelöst hat. Aber anders als bei seinem Vorgänger ist bei Covid-19 der Zeitpunkt von Kontamination zur Erkrankung sehr lang, bis zu zwei Wochen kann es dauern, bis Symptome - Fieber, Husten und dann Atemnot - auftreten. Das macht seine Nachverfolgung schwierig und die Eindämmung komplex. Zumal das Virus hoch ansteckend  ist, über Tröpfchen und kurze Distanz verbreitet wird. Und während die allermeisten Erkrankungen - etwa 80% - milde verlaufen, dauern die schweren Verläufe sehr lange. Einige Patienten - etwa 10% aller Erkrankten- müssen langfristig beatmet werden, um zu überleben. Diese Eigenarten von Covid-19 bedingen einige Besonderheiten in seiner Bekämpfung: Die Eindämmung kann nur durch umfassende Maßnahmen für Alle eingedämmt werden und die Behandlung erfordert viele Ressourcen, insbesondere große Kapazitäten auf Intensivstationen.
Zur Eindämmung des Virus war es daher notwendig und verhältnismäßig, die umfassenden Kontaktbeschränkungen und Restriktionen im öffentlichen Leben bis tief ins Private hinein durchzuführen. Vorbildlich dabei waren die rasch und überlegt gefaßten Regelungen in Bayern. Persönlich habe ich es als bedauerlich empfunden, daß kurzzeitig der Eindruck entstand, diese sinnvolle Regelung sei aufgrund politischer Querelen nicht bundesweit übernommen worden. Nach dem Motto: „Die Regelung ist gut, aber sie kommt nicht von mir …“. Politischer Egoismus und Profilgewinnung darf aber nicht über Allgemeinwohl gestellt werden. Warum keine bundeseinheitliche Regelung? Wieso diese Zeitverzögerung? Das Virus ist dumm, es erkennt keine Grenzen. Daher: Warum kein koordiniertes europaweites Vorgehen? Oder besser noch weltweit.
Die Maßnahmen - neudeutsch als „social distancing“ bezeichnet - haben zu einer Abflachung der Infektionskurve geführt. Zumindest kam es nicht zum unbegrenzten exponentiellen Anstieg. Die Folgen hiervon mag man sich nicht ausmalen. Und die Zeit wurde genutzt: Die Behandlungskapazitäten in den Krankenhäusern wurden ausgebaut, Nothilfe- und Abstrichstationen aus dem Boden gestampft und eine vernetzte, flexible Behandlungsstrategie etabliert. Viele Engagierte haben unglaublichen Einsatz gezeigt, die meist freiwilligen Helfer in DRK, Maltesern, Feuerwehr, THW und so weiter, die Profis in Polizei, Ordnungsdienst, Landratsamt und Gemeindeverwaltungen. Wer hätte gedacht, daß in unserer so auf Individualität und persönliche Freiheiten ausgerichteten Gesellschaft so etwas möglich ist?
Nun verschiebt sich der Focus des weiteren Vorgehens auf die drei Bereiche Medizin, Gesellschaft und Wirtschaft.
Medizinisch ist es weiterhin geboten, die Risikogruppen - Alte, Mehrfachkranke, Krebspatienten und Immungeschwächte - zu schützen. Durch Einschränkung der Kontakte oder durch das Tragen von Gesichtsmasken, auch selbstgenähten. Diese Maßnahmen werden uns bei aller Lockerung noch lange weiter begleiten. Nicht für uns, sondern für die, die unsere besondere Fürsorge benötigen.
Gesellschaftlich: Reicht die Solidarität und Fürsorge für die Schwachen soweit, daß man eine Einschränkung der persönlichen Freiheit akzeptiert? Und wer sieht die Not Anderer und hilft, statt sich seinem eigenen Wohlfühlbereich zu widmen? Man sieht beides: Eine Sonderkonjunktur der Baumärkte wegen aufwändig auf Vordermann gebrachter Einfamilienhäuser ebenso wie Menschen, die zum eigenen Beruf noch für andere einkaufen und anderweitig Hilfe anbieten. Was wird nach der Krise bleiben?
Und dann die Wirtschaft: Man kann sich nicht vorstellen, was diese Krise für die globale und lokale Wirtschaft bedeuten wird. Rasch wurden Maßnahmen beschlossen und Hilfsprojekte angestoßen. Reichen diese aus, um die Wirtschaft zu beleben? Und werden sich die Wirtschaftslenker ihrer Verantwortung für die Gesellschaft bewußt sein oder sich für Profit und Gewinnmarge verantwortlich fühlen?
Wie all dies weitergeht, kann ich zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Beitrages nicht sagen. Aber es ist sehr wohl möglich, schon jetzt politische Konsequenzen aus der aktuellen Situation zu erkennen. Sozusagen die politische Botschaft des Virus.
Schauen wir auf die unterschiedlichen Verläufe der Pandemie in Italien und Deutschland, aber auch die Unterschiede zwischen dem Veneto und der Lombardei, lassen sich ein paar Lehren ziehen. Maßnahmen zur Eindämmung müssen landesweit oder besser international orchestriert werden. In Italien hat die schrittweise Einführung von abgeriegelten Zonen zu einem Exodus aus diesen Regionen geführt, was die Verbreitung des Virus beschleunigt hat. Das bedingt auch ein frühes und breites Testen sowie gezieltes Isolieren von Kontakten und Infizierten, zum Beispiel mittels Handy- Tracking. Aber auch eine ausreichende Ausstattung der Gesundheitsämter zur Nachverfolgung der Kontakte und Koordinierung der Maßnahmen. In Italien hat zudem die fehlende Trennung fraglich Infizierter von anderweitig Erkrankten in den Krankenhäusern und Ambulanzen zur Verbreitung der Infektion beigetragen. Die Einrichtung von sogenannten Fieberambulanzen und Isolierstationen kann dies verhindern. Und für Deutschland zeigt sich, daß die vorstationäre Abklärung und häusliche Betreuung durch eine breite Hausarztstruktur und funktionierende  Sozialdienste deutlich Druck von den Krankenhäusern nehmen. Weiter hat sich gezeigt, daß ein proaktives Monitoring von Covid-19 Infektionen und Schutzmaßnahmen von Mitarbeitern im Gesundheitswesen und Risikogruppen wie Verkäufern die Ausbreitung eindämmen kann.
Gerade im Unterschied zu anderen Gesundheitssystemen in Europa liegt eine Botschaft: Den Kliniken vorgelagerte Haus- und Facharztstruktur und eine dezentrale, wohnortnahe Krankenhausstruktur retten in der Krisensituation Menschenleben! Vorgelagerte Haus- und Facharztstrukturen entlasten die Krankenhäuser im vorstationären Bereich. Eine dezentrale Krankenhausstruktur ermöglicht eine rasche und flexible Erweiterung der Intensivversorgung vor Ort. Wirtschaftlich erfolgreiche - will heißen profitorientierte - Krankenhausstrukturen mit durchgestylten Behandlungspfaden haben wenig Reserven und eine geringe Toleranz bei Störungen wie einer Pandemie. Eine zentralisierte Krankenhausplanung mag Fixkosten sparen, entzieht aber Behandlungsmöglichkeiten „auf dem flachen Land“. Das trifft auch auf den Ostalbkreis zu! Und gerade Krankenhäuser in öffentlicher Hand machen in Krisenzeiten die Notversorgung effizienter und schneller. Wäre eine so reibungslose Zusammenarbeit zwischen Landkreis und Krankenhaus bei einem privaten Träger möglich gewesen? Welchen Preis können wir dem zuordnen? Und werden wir als politisch Verantwortliche uns daran erinnern, wenn angesichts von Fehlbeträgen in den Kreiskliniken der Ruf nach einem Verkauf oder einem privaten Träger wieder laut werden wird? Gefordert ist hier aber in erster Linie die Bundespolitik: Krankenhäuser in der Fläche, im flachen Land ebenso wie in den Städten, sind Einrichtungen der Daseinsvorsorge, in denen Patienten behandelt und Krisen bewältigt werden. Und keine zentralisierten Großbetriebe in der Großstadt, die auf Gewinnmaximierung von Großaktionären ausgerichtet sind. Egal, was einzelne Lobbyverbände der Bundespolitik weismachen wollen! Und Obacht: Noch kurz vor der Pandemie forderte der CDU- Gesundheitsminister Spahn „mehr Mut für Krankenhausschließungen“. Manch einer wird nun froh sein, daß oft der Mut doch nicht gereicht hat. Oder besser: Die Einsicht da war!
Weit bevor die Corona- Pandemie abzusehen war, litt zudem der öffentliche Gesundheitsdienst unter einem extremen Nachwuchsmangel und einer steigenden Inattraktivität. Mit Schuld waren auch die Sparbemühungen, die in der Weigerung der Öffentlichen Hand gipfelten, die besser dotierten Tarifbestimmungen für Ärzte in Krankenhäusern zu übernehmen. Insbesondere in der Anfangsphase der Pandemie rächte sich dieses Kleinsparen und in konkreten Fällen auch auf Kosten der Gesundheit. Eine weitere Lehre: Der ÖGD muß attraktiv gestaltet werden - auch, aber nicht nur finanziell -  und muß als wichtige Säule der Daseinsvorsorge entsprechend ausgestaltet und wertgeschätzt werden.
Die wahren Helden sind die vielen Freiwilligen in DRK, Malteser, Feuerwehr und vielen weiteren Hilfsorganisationen. Sollte man nicht auch angesichts einer grassierenden Egomanie durch eine Dienstpflicht für Alle dazu beitragen, daß nicht nur jederzeit genügend Helfer vorhanden sind, sondern noch viel mehr ausgebildete Ehemalige in der Notsituation zur Verfügung stehen? Was kann es schaden, wenn unsere Gesellschaft wieder erlebt, daß sie nicht nur aus mit uneingeschränkten Rechten ausgestatteten Individualisten besteht? Sondern nur durch die Verantwortung des Einzelnen gegenüber dem Ganzen gerade in Krisenzeiten Bestand haben kann? Daß sich so viele in den Hilfseinrichtungen engagieren, hat dazu geführt, daß mancherorts eine faszinierend effiziente horizontale  Organisation möglich war. Vertikal, also „von Oben“, kam aber insbesondere zu Beginn wenig. Zentrale Materialversorgung? Standardisierte Behandlungs- und Aufbaupläne? Koordiniertes Vorgehen über die Kreisgrenzen hinweg? Da ist sicher Luft nach oben. Genauso wie bei der Erkenntnis, daß eine Grundversorgung mit Medikamenten und Schutzkleidung durch Betriebe in Deutschland sichergestellt sein muß. Auch wenn das ein paar Cent mehr kostet. 

Das Covid-19 Virus und seine medizinischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen wird uns noch lange begleiten. Wichtig ist, daß wir seine politische Botschaft verstehen und die richtigen Konsequenzen daraus ziehen. Und zu diesen auch stehen, wenn die Medienkarawane längst weitergezogen ist …

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